Veränderung erfolgreich steuern
Die Herausforderung der Veränderung
Sie haben sich viel Mühe gegeben, neue Lösungen für die Prozesse zu finden, die im Sinne Ihrer Mitarbeiter liegen. Der große Tag naht. Sie haben Ihre Abteilung zusammengerufen, um die neuen Gedanken vorzustellen. Aber die Reaktion ist nicht wie erwartet – die Mitarbeiter reagieren von reserviert bis teilweise offen aggressiv. Keine Spur von Euphorie über die vereinfachten Abläufe.
Die Rolle des limbischen Systems
Haben Sie so etwas auch schon einmal erlebt? Sie haben sich überlegt, was Sie für die Mitarbeitenden machen können, und diese fragen sich, was sich jetzt wieder für sie ändert. Ein Blick in die Hirnforschung liefert die Antwort.
Der Grund liegt im Reptiliengehirn. Ein erster Blick in Wikipedia zeigt:
„Das limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Limbisches_System
Es ist aus evolutionärer Sicht einer der ältesten Teile des Gehirns und wird daher auch häufig das „Reptiliengehirn“ genannt. Es lässt sich in der Evolution 3,5 Mio. Jahre zurückverfolgen und ist der Teil des Gehirns, denen die ersten höheren Lebensformen entwickelt haben. Vereinfacht ausgedrückt: Hier sind bestimmte Grundverhalten fest verdrahtet angelegt, die beim Überleben helfen. Und:
Die Angst vor der Veränderung ist einer dieser fest verdrahteten Überlebensreflexe.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie leben mit Ihrem Stamm in der Steinzeit. Sie schauen eines Morgens aus Ihrer Höhle und sehen auf der anderen Seite des Tals herrliche Früchte an den Bäumen. Es reizt Sie, dorthin zu gehen. Aber eine unterschwellige Angst hält Sie zurück. Das limbische System ist aktiv.
Auf der einen Seite besteht die Chance, die leckeren Früchte zu erlangen. Aber in einer Welt, in der Ihr einziges Anliegen das reine Überleben ist, sollen Sie da wirklich das Risiko eingehen, Ihre Höhle zu verlassen und auf dem Weg von einem Säbelzahntiger angefallen zu werden? Insbesondere, wenn Ihr Überleben in Ihrer aktuellen Situation gesichert ist? Ihr limbisches System begegnet daher einer veränderten Situation mit Vorsicht. Dieses Verhalten können Sie auch bei Ihrem Haustier beobachten, wenn Sie es mit einer neuen Situation konfrontieren (z.B. neuem, unbekanntem Spielzeug). Auf der einen Seite Neugier, aber auf der anderen Seite eine gehörige Portion Vorsicht.
Der Umgang mit Veränderung: Strategien und Lösungsansätze
Dieser Mechanismus greift, wann immer Sie mit einer veränderten Situation konfrontiert werden. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Sie ungehalten reagieren, wenn die Speisekarte von Ihrem Stammrestaurant geändert wurde? Selbst, wenn die Auswahl jetzt besser ist?
Dass das limbische System diese Funktion der automatischen Bewertung von Situationen vornimmt und mit entsprechenden Emotionen reagiert, ist seit langem bekannt. Der Einfluss des limbischen Systems auf Ihr Verhalten ist aber noch nicht so lange klar. Obwohl der Mensch als vernunftbegabtes Wesen diese Emotionen erkennt, so kann er sie rational nicht unterdrücken oder wegargumentieren.
Sie gehen zum Zahnarzt. Auf dem Weg sagen Sie sich, dass die Behandlung heute weitgehend schmerzfrei ist, dass es langfristig besser ist, regelmäßig zum Zahnarzt zu gehen … völlig egal. Sie haben Bauchgrimmen und kalten Schweiß auf der Stirn, das limbische System löst einen Fluchtreflex aus. Sie können diesen Impuls nicht unterdrücken.
Gleiches passiert bei der veränderten Situation. Sie sind dagegen, auch wenn Sie nicht wissen, warum. Und da hilft auch kein noch so rationales Argumentieren. Hier ist also die Erklärung für das Verhalten Ihrer Mitarbeiter in der eingangs geschilderten Situation.
Die Kunst des Umgangs mit Widerstand
Das war’s also? Meine Mitarbeiter mögen keine Veränderung, und ich muss es einfach hinnehmen? Nein, keineswegs. Sie können einen Menschen zwar nicht mit Argumenten umstimmen (zumindest nicht am Anfang), aber Sie können ihn konditionieren.
Zurück zum Beispiel des Zahnarztbesuchs: Stellen Sie sich jetzt eine Situation vor, in der Sie über ein halbes Jahr jeden Tag zum Zahnarzt müssen – irgendeine langwierige Behandlung. Nach einer Weile gehen Sie vollkommen angstfrei zu den Terminen. Sie wissen, was auf Sie zukommt. Selbst, wenn es unangenehm wird, Sie stellen sich drauf ein und gehen damit um.
Der Faktor Zeit spielt hier eine große Rolle. Verhaltensänderungen beim Menschen folgen einem sehr vorhersehbaren Muster (siehe Abbildung 1). Vereinfacht ausgedrückt hat Verhalten immer zwei Komponenten – einen rationalen und einen emotionalen Anteil. Wenn Sie jemanden mit einer veränderten Situation konfrontieren, wird die Person in der Regel bis zu 90% emotional reagieren. An dieser Stelle zu argumentieren ist einigermaßen nutzlos. Es verstärkt nur den Konflikt, Ihr Gegenüber ist zu sehr in ihren Emotionen verfangen. Besser ist in diesem Moment ein geordneter Rückzug: „Alles klar, wir reden später drüber. Denken Sie mal drüber nach.“
Die Stabilität der Veränderung
Jetzt heißt es, am Ball zu bleiben und den Prozess der Rationalisierung zu durchlaufen. In kurzen Abständen bringen Sie das Thema immer wieder auf die Agenda. Irgendwann reduziert sich der emotionale Anteil des Verhaltens zugunsten des rationalen Anteils. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Argumente ins Feld zu führen und konstruktives Feedback zu bekommen.
Nachdem die Änderung umgesetzt ist, muss der neue Zustand wieder gefestigt werden. Ziel ist, dass der gewünschte Zielzustand emotional genauso verteidigt wird, wie am Anfang der Ausgangszustand behandelt wurde. Ein Änderungszyklus besteht also aus einer Phase der Herstellung einer Änderungsbereitschaft („Unfreeze“), der Implementierung der Veränderung („Change“) und dem anschließenden Festigen des neuen Zustandes („Freeze“) (siehe Abbildung 2).
Ausblick
In einem der nächsten Artikel werden wir die operativen Aspekte des Veränderungsprozesses tiefer beleuchten, also der Frage nachgehen, wie ein Änderungsprozess nun tatsächlich in Unternehmen unterschiedlicher Größe gesteuert werden kann.
Jens Uwe Möller Dipl.-Ing. (TU)
Head of Business Development
Aufbauend auf seiner über 30-jährigen Beratungs- und Führungserfahrung in unterschiedlichsten Branchen ist Jens für die Geschäftsentwicklung in der SGH verantwortlich. Er ist unter anderem Experte für die technologiebasierte Transformation von Organisationen und für Zentralregulierung. In seiner Rolle unterstützt Jens die Kunden der SGH bei der Entwicklung maßgeschneiderter innovativer und ganzheitlicher Lösungen.